Jura kommt auf unseren Strecken und Beschreibungen öfter mal vor. Jura-Brevet; französischer Jura; Schweizer Jura. Die Fränkische Schweiz, auch als Frankenjura bekannt, wird genießen und erleiden dürfen, wer bei Karl in Osterdorf mal den 400er fährt oder sich auf seinen fast schon legendären 1000er wagt. Eine typische Juralandschaft, mit all ihren Schönheiten und Tücken (sprich: Anstiegen), die in der deutschen Randonneursszene schon einen gewissen Namen hat. Baarjura, Klettgaujura und Randenjura sind Begriffe, die sich nicht durchgesetzt haben, bezeichnen aber just die Landschaften, die wir auf unserem 400er queren oder streifen. Auch die Schwäbische Alb mit dem oberen Donautal gehört dazu. Das Schweizer Faltenjura zwischen Basel und Olten ist unser südliches Ziel beim 300er Brevet bevor wir durch das Sundgau wieder heimwärts ziehen.
Spannend ist, zu sehen, zu er“fahr“en wie ähnliche und gegensätzliche Landschaftstypen und Bedingungen in verschiedenen Ländern und Kulturen auf die Siedlungs- und Lebensweise der Menschen gewirkt haben. Es ist nicht zuletzt die Durchmischung und Verwischung der Sprachen und Kulturen, all die lokalen Dialekte (vom Französischen ins Elsässische über das Schweizerische hinein bis ins Alemannische und Schwäbische), der Übergang von den Weintrinkern zu den Biertrinkern, die das Dreiländereck mit den Landschaften drumrum und den Menschen darin so vielseitig und interessant machen.
Die Kelten bezeichneten das geologisch junge Gebirge als Jor, die Römer nannten es Juris (Wald oder Waldland), was zu unserem Jura wurde. Geografisch und geologisch erstreckt sich das Jura rund 750 Km von der Rhone über das Rheinknie bis hinauf nach Franken. Auf den französischen und den Schweizer Jura, (geologisch eine Einheit), der sichelförmig von Genf bis nach Schaffhausen reicht, folgt zwischen dem älteren Schwarzwald und bayrischer Grenze die Schwäbische Alb und danach die Fränkische Alb, die nördlich von Nürnberg ausläuft. Das Juragebirge ist namensgebend für das geologische Zeitalter (vor ca. 200-145 Millionen Jahren), übrigens der ersten Blütezeit der Dinosaurier. Aber das Gebirge haben wir den Muscheln, Ammoniten und Schnecken zur verdanken. Ein tropisches Flachmeer, die Tethys, in dem mächtige Schichten aus Sedimenten und Muschelkalk abgelagert wurden, entwickelte sich nach Rückzug und Austrocknung durch Faltung und Erosion zu einer ernst zu nehmenden Herausforderung für jede Radlerwade. Wir lieben die einsamen, weiten Hochflächen in Frankreich, die sich in Ost-West-Richtung lang dahinziehen. Aus Nord-Süd Richtung gesehen, steigen sie stufenweise an, bis sie, auf dem höchsten Kamm angekommen, aus zwölf- bis sechzehnhundert Metern abrupt, fast senkrecht ins Schweizer Mittelland abfallen. Der wohl steilste Schweizer Straßenpaß ist hier, nicht etwa in den Alpen, zu finden. Die Südrampen des Weißensteinpasses, von Solothurn her aufsteigend. Wer sich einmal mit dem Rennrad auf sie eingelassen hat, egal wie fit er ist – ich schwöre, niemals mehr wird er über Kollegen, die sich ein Dreifach-Blatt gönnen, hochmütig lächeln können, nie mehr… (Keine Angst, wir haben den Weissenstein, obwohl auf einem 300er durchaus erreichbar, wohlweislich (noch) nicht in eins unserer Brevets eingebaut).
Die Landschaften des Jura sind vielfältig und vielgestaltig, das Kalkgestein ist weich, wasserdurchlässig und durch Erosion entstehen teils bizarre Formen. Tafeljura sind die im wesentlich ungefalteten, oft leicht schräggestellten Hochflächen; in Frankreich werden die kargen, steinigen, oft kaum bewaldeten Hochtäler mit den weiten Horizonten unversehens von spektakulären wilden Schluchten durchschnitten und abgegrenzt, tief eingegraben ins Herz des meist in weiß und grau leuchtenden Jurasteins. Kleine, ärmlich wirkende Ansiedlungen stemmen sich oben gegen den ständigen Wind, bis weit ins Frühjahr hinein hält sich in Höhen über tausend Metern lange zäh der Schnee. Noch ein Rekord: Die tiefsten, jemals in der Schweiz und im angrenzenden Frankreich gemessenen Temperaturen quälten die Menschen nicht irgendwo im Hochgebirge sondern vor noch gar nicht allzulanger Zeit jeweils im Jura!! Januar 1985 in Mouthe, Französisches Jura, Minus 41°C. Januar 1987, La Brévine, Schweizer Jura Minus 41,8°C.
In Verbindung mit der Alpenfaltung wurden auch Teile des Juras mit gewaltiger Kraft gestaucht, gehoben, gedrückt und gefaltet, ehemals waagrechte Schichtungen stehen mancherorts gut sichtbar fast senkrecht. Das Faltenjura. Ahnt Ihr was? Ja, die Folge sind: Steigungen. Anstiege, manch einer jenseits von 18%, ein nur schwacher Trost, daß sie dort meist verhältnismäßig kurz sind – dafür geht es ständig nur rauf und runter. Im eher kleinhüglig-steilen, reichen Kulturland zwischen Basel und Olten liegen mächtig und schwer Schweizer Bauernhöfe in einer Landschaft, in einem so satten, gepflegten Wiesengrün, wie sie kein Modellbauer je kitschiger und typischer hinkriegen könnte. Bilderbuchschweiz pur.
Aber eines haben alle diese so unterschiedlichen Juralandschaften gemeinsam: Sie sind abgelegen und unzugänglich, meist dünn besiedelt und werden von den großen Verkehrsströmen umfahren bzw. auf nur wenigen Kanälen durchstoßen. Die örtlichen Verbindungssträßchen sind oft einspurig, einsam und spektakulär. Einfach nur schön. So, daß man sie sich immer wieder freudig und gern von Neuem, wenn auch manchmal schwer keuchend und mit viel Schweiß erkämpft. Ja, da freut sich jedes Radlerherz und schlägt höher und höher…
Aber der Mensch ist ja so gestrickt, daß er nur schätzt und liebt, was ihn müht. Es gibt unglaublich viel zu entdecken und zu erleben in „unserem“ Jura…